„Die Zeit der niedrigen Renditen hat gerade erst begonnen“

 

Dr. Thomas A. Lange, Vorstandsvorsitzender der Nationalbank, ist ein Beispiel dafür, dass nicht Wissen beeindruckt, sondern die darüber hinaus gehende Fähigkeit, aus fragmentarischen (Er)Kenntnissen ein schlüssiges Bild der Realität zu formen.

Rund 100 Mitglieder des Marketing-Club-Düsseldorf hörten den Topbanker heute im Interconti an der Kö als Weltendeuter in top Form: eine Tour d’Horizon zwischen Eurobeben und Ukraine, Wahlgeschenken und trüben Aussichten.

Zwischen Kartoffelsuppe rheinisch mit Trüffelschaum und gebratenem Maishähnchen erlebten die Clubmitglieder ein Feuerwerk an Fakten, vorgetragen ohne Manuskript.

Der Chef der Essener Privatbank intonierte seinen Überblick mit negativer Rückschau. Im dritten und vierten Quartal hätten Wahlgeschenke wie Mitpreisbremse und Mütterrente „deutliche Bremsspuren“ hinterlassen und 2014 habe „deutlich schlechter geendet als begonnen.“

Ein besonderes Anliegen ist dem Banker die Situation in der Ukraine. Lange beklagte die frühzeitige Positionierung des Westens gegenüber der Ukraine – „so, dass er ohne Gesichtsverlust jetzt nicht mehr herauskommt“. Er habe es als „problematisch“ wahrgenommen, dass unser Außenminister faktisch auf dem Maidan mitdemonstrierte. Ohne den Völkerrechtsbruch Russlands relativieren zu wollen, äußerte er Verständnis für Russlands Politik und verwies auf die entgegen diplomatischer Absprachen vor der Wiedervereinigung erfolgte Umzingelung Russlands durch Aufnahme von östlichen Staaten in EU und NATO.

Von der geopolitischen Situation schlug der Banker den Bogen zum Euro. „Es wird deutlich volatiler“, prognostizierte Lange. Der Druck auf die Währung  bleibe noch lange erhalten und die jetzt zur Entscheidung anstehende 500-Mio-Euro-Spritze der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen auf nationaler Basis werde wenig bewegen, da die ökonomischen Rahmenbedingungen für zu finanzierende Investments fehlten.

Man müsse sich fragen, ob wir nicht einer eingebildeten Sicherheit unterliegen. So habe die Aufkündigung der Franken-Euro-Kopplung die „vermeintlich sichere Parität“ gebrochen, ein Schaden, der etwa die Stadt Essen 70 Mio. Euro gekostet habe. Essen hat wie viele Kommunen, seine Schulden wegen besserer Konditionen in die Schweiz exportiert.

Am Sonntag wählt Griechenland und man rede nun, nachdem rund 320 Milliarden Euro aus der EU nach Griechenland geflossen seien, über einen Schuldenschnitt. Dr. Lange: „Doch das würde einer Staatsfinanzierung gleichkommen, deshalb verweigert sich die EZB zu Recht.“ Lange ist der Auffassung, „wir sollten Griechenland keine Ratschläge erteilen.“

Für private Sparer sieht der Banker eine „lange, lange Durststrecke“. Er schließe nicht aus, dass der Negativzins noch erhöht werde. „Die Zeit der niedrigen Renditen hat gerade erst begonnen.“

Lange empfiehlt in diesen Zeiten all denen den Kauf einer Immobilie, die es sich jetzt erlauben können.

Die Wirtschaft profitiere derzeit von dem niedrigen Ölpreis, unter dem Russland wegen der gegebenen Abhängigkeit leide. Bei einem kürzlichen Besuch mit Wirtschaftsminister Garrelt Duin in Saudi-Arabien sei deutlich geworden, dass die Förderquote beibehalten werde. Auch der Iran produziere auf hohem Niveau.

Zur globalen Finanzentwicklung äußerte der Nationalbank-Chef die These, dass in einigen Jahren der chinesische Renminbi nach dem Dollar und vor dem Euro zur Leitwährung werden könne.

Lange sprach sich für den Abschluss des Handelsabkommens TTIP aus.

osi